Die Kunst der Osterinsel, Copyright

Daß die Osterinsulaner nicht nur hervorragende Steinmetze, sondern auch wirklich begnadete Holzschnitzer und Künstler waren, wissen nur die wenigsten. Befasst man sich jedoch etwas intensiver mit der polynesischen Kunst, und vergleicht das Kunsthandwerk anderer Pazifikinseln mit dem der Osterinsel, so wird schnell deutlich, daß die Rapanuis diesbezüglich eine führende Rolle einnehmen. Gerade im Bereich der Holzschnitzereien brachten es die Osterinsulaner zu einer fast schon meisterhaften Perfektion, die ihresgleichen im polynesichen Raum sucht. Die Formenvielfalt der Holzfiguren ist enorm, die typischen Merkmale aber immer präsent.
Viele Holzschnitzereien, wie das Tanzpaddel (Ao bzw. Rapa), der Toko, Rei Miro, U'a, etc. stellten wichtige Machtsymbole und Rangabzeichen der Priester und Clanoberhäupter dar, die in der Regel mit einem mächtigen aku-aku belegt waren. Das gleiche trifft für die zahlreichen Holzskulpturen zu, allen voran die wohl bekannteste Holzfigur der Osterinsel, der Moai Kavakava. Diese wurden bei wichtigen Zeremonien und Festen in möglichst großer Zahl und Qualität um den Hals gehängt, was dem Eigentümer große Anerkennung und Neid, bei einer wenig gelungenen Ausführung allerdings auch Gespött einbrachte. ;-)

Nachfolgend möchte ich eine Auswahl der wichtigsten Holz- und Steinskulpturen vorstellen, und dem Interessierten ausführliche Hintergrundinformationen wie zu den verwendeten Holzarten, zur Fachliteratur sowie einschlägige Links bereitstellen.

Moai Kavakava


Der wohl bekannteste Holzfigurentypus der Osterinsel ist eine männliche, ausgemergelte Gestalt mit stark vorgewölbtem, skelettierten Brustkorb (kavakava = "Rippen"). Der überproportionierte Kopf ist in der Regel detailliert ausgearbeitet und mit einem Flachrelief verziert, welches antropomorphe, zoomorphe oder Fantasiewesen darstellt. Möglicherweise handelt es sich hierbei um die Wappen einzelner Stämme. Die lange, gebogene Nase, die eingefallenen Wangen, die fein ausgearbeitete Wirbelsäule und der Spitzbart sind weitere typische Merkmale der Kavakava- Figuren. Auf eine Ausarbeitung der Hände und der (viel zu kleinen) Füsse wurde hingegen kein Wert gelegt.
Die meisten Figuren besitzen auf der Rückseite unterhalb des Schädels eine Bohrung, um sie bei Festen und Ritualen um den Hals tragen zu können.
Man weiß nur wenig über die genaue Bedeutung der Kavakava- Figuren. Nach einer mündlichen Überlieferung wurde der erste Moai Kavakava von Tuu-ko-ihu geschnitzt, Schwager des legendären ersten Königs Hotu Matua, um Geister (akuaku) darzustellen, die ihm während einer Wanderung begegnet wären. Heute nimmt man an, daß die Figuren Ahnenbildnisse darstellen.


Über die abgebildete Figur :

Diesen wunderschönen Moai Kavakava erwarb ich während meines zweiten Besuchs auf der Osterinsel im März 2005. Ich fragte Miguel Nahoe, den ich ja noch von meinem ersten Aufenthalt her kannte, und der derzeit einer der begnadetsten Künstler der Osterinsel ist, ob er mir nicht bis zu meinem Abflug einen Moai Tangata und - wenn er schon mal dabei wäre - auch einen Moai Kavakava schnitzen könnte. Ich hatte mir nämlich u.a. vorgenommen, meinen zweiten Osterinsel-Urlaub auch dazu zu nutzen, meine kleine Kunstsammlung etwas zu erweitern.
In den nächsten 10 Tagen besuchte ich Miguel mehrere Male, um zu sehen, wie er mit den Figuren vorankam. Der Moai Tangata nahm auch allmählich Gestalt an, doch von der Kavakava- Figur war bis kurz vor dem Abflug nichts zu sehen.

Moai Kavakava (Kava Kava), Copyright Karsten Rau

Moai Kavakava
Rapa Nui, ca. 2004 - 2005
Künstler : Miguel Nahoe Avaka
Höhe : 42 cm
Material : Mako'i- Holz, Obsidian,
Knochen, geflochtene Bastschnur
(Sammlung Karsten Rau)


Kopfglyphe (Flachrelief)

Und so hatte ich insgeheim schon die Hoffnung aufgegeben, daß die Figur noch rechtzeitig fertig werden würde, als mir Miguel zwei Tage vor meinem Abflug diesen wunderschönen Moai Kavakava präsentierte. Am Holz war sofort zu erkennen, daß dieser nicht erst vor kurzem geschnitzt war, doch ich verkniff es mir, diesbezüglich nachzufragen. Zudem war die Figur auch merklich größer als ich - aus Kostengründen - ursprünglich angegeben hatte. Mir war klar, daß Miguel im Laufe der letzten Tage eingesehen haben musste, daß er beide Figuren wohl nicht mehr rechtzeitig fertig bekommen würde. Um sich aber keine Blöse zu geben, hatte er deshalb wohl notgedrungen seinen privaten "Kavakava-Fundus" angezapft. Dafür sprach neben der wirklich exquisiten Ausführung auch die makellose Qualität des Holzes und die Detailversessenheit, wie z.B. die bei heutigen Schnitzereien selten anzutreffende, handgeflochtene Bastschnur. Natürlich nahm ich den Moai liebend gerne *g*, auch wenn er mir letztendlich wohl ein paar hundert Dollar mehr gekostet haben dürfte. ;-) Alles in allem aber ein echtes Prunkstück und sicherlich die schönste Holzfigur in meiner Sammlung.



Noch eine kleine Anektode am Rande: Auf meine erstaunte Frage, ob es denn nicht ganz besonders schwierig wäre, den doch stark gekrümmten Moai Kavakava mit seinem nach vorne überhängenden Kopf so exakt zu schnitzen, daß er am Ende auch stehen bleiben würde, meinte Miguel mit einem breiten Grinsen: "Das ist schon schwierig, allerdings verwende er diesbezüglich einen einfachen Trick: Als letzte "Feinjustage" müsse sein Penis herhalten: Tendiert die Figur dazu, nach vorne zu kippen, macht er ihn kürzer, fällt sie nach hinten, bleibt er entsprechend länger..." ;-))


Ende 2008 ersteigerte ich ein weiteres, sehr interessantes Exemplar eines Moai Kavakava. Die Qualität der Schnitzarbeit ist hervorragend, was sich unter anderem an der in dem Bas-Relief- Stil ausgeführten Kopfglyphe zeigt, die zwei Manaturas (Rußseeschwalbe) darstellt (siehe Bild oben).


Über die abgebildete Figur :

Der Vorbesitzer hat diese Figur zusammen mit dem weiter unten abgebildeten und beschriebenen Moai Tangata Manu während seines zweiten Besuchs auf der Osterinsel im Jahre 1994 erstanden, also noch deutlich vor der Zunahme des Tourismus um den Jahrtausendwechsel. Das genaue Alter der Figur ist unbekannt.
Der Moai ist auf der rechten Fußsohle mit "Jose M. Tuki" signiert, und es dürfte sich hierbei um José Manuel Tuki Pate handeln. Eine Verwandtschaft mit dem berühmten Benedicto Tuki Pate ist wahrscheinlich.
Die schlanke, eher gestreckte, und mit fast 50cm relativ große Figur ist mit ihren dünnen Armen und Beinen und den nur angedeuteten Füßen ein gutes Beispiel für den klassischen Kavakava- Typus. Während die Extremitäten eher stilisiert dargestellt sind, wird hier ein besonderer Wert auf die plastische und detailgetreue Darstellung des Kopfes und der Wirbelsäule gelegt. Die Proportionen des Kopfes sowie der Gesichtsausdruck sind bei dieser Figur hervorragend gelungen und zeugen von dem Können des Schnitzers. Die klassische Bohrung am Hinterkopf zum Aufhängen des Moais wurde bei diesem Exempalr interessanterweise nur angedeutet.
Das verwendete Holz ist nicht bekannt, allerdings unterstreicht die feine Maserung und der helle Braunton den hervorragenden Gesamteindruck der Figur. Aufgrund der hohen Dichte des Holzes ist dieses Exemplar im Vergleich zu den Figuren aus Makoi merklich schwerer.

Moai Kavakava (Kava Kava), Copyright Karsten Rau

Moai Kavakava
Rapa Nui, vor 1994
Künstler : José M. Tuki Pate
Höhe : 49 cm
Material : Holz, Obsidian
(Sammlung Karsten Rau)


Weitere Beispiele für Moai Kavakava - Figuren:  [Tafel 1]  [Tafel 2]  [Tafel 3]  [Tafel 4]
(Fotos mit freundlicher Genehmigung von Carolina Barahona Geisse, Santiago de Chile)


Moai Vahine


Der Vahine- Typus ist eine der wenigen hockenden Figuren der Osterinsel. Dargestellt wird eine gebärende Frau mit übergroßer Vulva (dies bestätigt die in mündlichen Überlieferungen erwähnte Praxis der künstlichen Manipulation von Labien und Klitoris). Die Haare werden durch ein sorgfältig gearbeitetes Linienmuster dargestellt, die Hände liegen wie bei den Kollosalfiguren eng am Körper unterhalb des Bauches. Der Kopf besitzt im Gegensatz zum Moai Kavakava sehr realistische Gesichtszüge.
Die Rapanuis hatten in Anbetracht ihrer verlustreichen Stammeskriege eine große Ehrfurcht vor schwangeren Frauen, da die Geburt symbolisch für Hoffnung und das Überleben des stark dezimierten Volkes standen.


Über die abgebildete Figur :

Mit diesem Moai Vahine begann meine Leidenschaft für die Kunst der Osterinsel. Ich erwarb die Figur während meines ersten Urlaubs auf Rapa Nui, wo er mir bei einem Besuch des Mercado Artisanal am Stand von Miguel Nahoe Avaka auffiel. Einige Tage später konnte ich ihn nach hartnäckigen Verhandlungen für eine mittlere dreistellige Summe (damals war der Dollarkurs noch äußerst ungünstig) und einen bayrischen Bierkrug (den brachte ich vorsorglich als Gastgeschenk von zuhause mit *g*) erwerben.
Eine vergleichbare Skulptur befindet sich im Museo Prehistorico ed Etnografico in Rom (Inv.Nr. 32571), die 1886 in den Besitz des Museums gelangte.
Miguel verwendete hierfür ein wunderschön gemasertes Makoì- Holz und setzte dabei die unterschiedliche Färbung des Holzkerns (für den Rumpf) und der äußeren, hellen Schichten (für Arme und Schultern) meisterhaft ein.

Moai Vahine, Copyright Karsten Rau

Moai Vahine
Rapa Nui, vor 1998
Künstler : Miguel Nahoe Avaka
Höhe : 28 cm
Material : Mako'i- Holz, Obsidian, Knochen
(Sammlung Karsten Rau)


Weitere Beispiele für Moai Vahine - Figuren:  [Tafel 5]  [Tafel 6] 
(Fotos mit freundlicher Genehmigung von Carolina Barahona Geisse, Santiago de Chile)


Moai Tangata


Das polynesische Wort tangata bedeutet Mensch. Es handelt sich hierbei um sehr realistische, wohlproportionierte, männliche Figuren, die sich dadurch sehr von den anderen Typen wie Kavakava oder Pa'a Pa'a unterscheiden. Der fein ausgearbeitete Kopf hat fast schon europäische Gesichtszüge. Die Ohren sind nicht verlängert und zeigen in der Regel den damals üblichen Ohrschmuck, runde Ohrpflöcke. Anstelle der Haare befindet sich ähnlich wie bei dem Moai Kavakava eine im Flachrelief gefertigte Kopfglyphe. Auf die Ausarbeitung bzw. Verzierung des fast schon knabenhaften Körpers samt Extremitäten wurde hingegen weitestgehend verzichtet.


Über die abgebildete Figur :

Diesen Moai tangata ließ ich während meiner zweiten Osterinseltour von Miguel Nahoe Avaka anfertigen. Bei der Urlaubsvorbereitung bin ich in einem Kunstbuch auf einen Moai tangata aus dem Leningrader Museum gestossen, der es mir sofort angetan hatte. Und so nahm ich kurzerhand das Buch mit auf die Osterinsel, und fragte Miguel, ob er so eine Figur schnitzen könnte. Als Holz wünschte ich mir (wieder einmal) Mako'i, weil es nicht nur eines der hochwertigsten Hölzer der Insel ist, sondern auch die meiner Meinung nach schönste Maserung hat. Zudem ist Mako'i eine der Pflanzenarten, die bereits vor der Entdeckung der Osterinsel durch die Europäer auf Rapa Nui heimisch war. Manche Wissenschaftler vermuten sogar, daß der Baum zur Gruppe der Idiochoren gehören könnte (das sind Arten, die ohne Zutun des Menschen auf die Insel gelangt sind).
Das verwendete Holz hat eine ganz ungewöhnliche, fast schon rote Maserung (besonders auffällig am Rücken). Miguel erklärte mir, daß die intensive Farbe hauptsächlich durch die spezielle Lagerung des Holzes ensteht. Das Holz zieht Feuchtigkeit an, welche wiederum chemisch reagiert und den Rotton hervorruft.

Moai Tangata, Copyright Karsten Rau

Moai Tangata
Rapa Nui, März 2005
Künstler : Miguel Nahoe Avaka
Höhe : 34 cm
Material : Mako'i- Holz, Obsidian, Knochen
(Sammlung Karsten Rau)


Moai tangata, Copyright Karsten Rau

Für die Anfertigung der Figur benötigte Miguel eine gute Woche. Ich schaute zwischendurch immer mal wieder bei ihm vorbei, um zu sehen, wie weit der Moai schon fortgeschritten war. Hält man sich den zeitlichen Aufwand für eine hochwertige Schnitzarbeit einmal vor Augen (ganz abgesehen von den Kosten für das Holzstück), so erscheint der mittlere dreistellige Betrag, den so eine Figur mindestens kostet, in einem anderen Licht.
Auf dem Foto kann man schön die ungewöhnliche rote Maserung erkennen. Während der Rumpf schon weitestgehend fertiggestellt ist, befindet sich der Kopf noch in einem sehr frühen Stadium. Im Hintergrund erkennt man eines der Kunstbücher, welche ich Miguel als kleines Begrüßungsgeschenk mitgebracht hatte.
Den endgültigen, dunkleren Farbton erhält das Holz übrigens erst nachdem es mit einem Wachs, Öl oder noch besser mit Aceite piquero ( einem Gemisch aus dem Fett und der Leber des auf der Osterinsel heimischen Vogels Piquero blanco) versiegelt wurde.


Der Moai Tangata nimmt Gestalt an.

Weitere Beispiele für Moai Tangata - Figuren:  [Tafel 7] 
(Fotos mit freundlicher Genehmigung von Carolina Barahona Geisse, Santiago de Chile)


Moai Tangata Manu


Das Motiv des "Vogelmanns", also die Kombination von Mensch (tangata) und Vogel (manu), ist eng verbunden mit dem gleichnamigen Kult, welcher in etwa Mitte des 18. Jahrhunderts begann und mit dem letzten Vogelmann 1866 endete. Der Tangata Manu fungierte quasi als Stellvertreter des Schöpfergottes Makemake auf Erden und wurde jedes Jahr in einem Wettbewerb ermittelt. Der Vogelmann war nicht nur die mächtigste Person der Insel, sondern galt obendrein als heilig.
Man begegnet dem Vogelmannmotiv nicht nur in zahlreichen Reliefdarstellungen der Zeremonieanlage Orongo (Rano Kau) und in diversen Höhlen (Ana), sondern auch in Form von Rongorongo- Schriftzeichen.
Die wenigen erhaltenen Vogelmann- Schnitzereien sind sehr unterschiedlich gestaltet und variieren in der Größe, der Schnabelgestaltung und in der Körperhaltung. Gemeinsam ist ihnen lediglich das Grundkonzept der Symbiose zwischen Mensch und Vogel. Die wohl bekannteste Vogelmannfigur befindet sich im Leningrader Museum und dient heute den einheimischen Künstlern als Vorlage für mehr oder weniger genaue Reproduktionen.
Abgesehen von den Armen, ähnelt der Korpus den Moai Kavakava- Figuren. (siehe weiter oben). Anstelle der Arme besitzt der Tangata Manu Flügel, die auf dem Rücken in langen, fingerförmigen Federn enden. Die wie bei dem Kavakava- Typus betonte Wirbelsäule endet in einem halb erhabenen Knopf, an den sich eine Schwanzquaste anschließt. Die Figur trägt einen Vogelkopf mit einem langen, gebogenene Schnabel und stark hervorgehobenen Augenbrauen.


Über die abgebildete Figur :

Auch bei diesem Moai Tangata Manu diente dem Schnitzer wohl die Leningrader Vogelmann- Figur als Vorlage, denn die Ähnlichkeiten sind unübersehbar.
Ich ersteigerte die Figur im Jahre 2008. Das exakte Alter der Figur ist jedoch unklar. Erwähnenswert ist vorallem die imposante Erscheinung der Figur, denn mit einer Höhe von 60cm und einem Gewicht von eineinhalb Kilogramm gehört sie zweifelsohne zu den größeren Exemplaren ihrer Art. Die Proportionen sind dem Künstler trotz der Größe hervorragend gelungen und zeugen von einem guten handwerklichen Können.
Das verwendete Holz ist nicht bekannt, allerdings ist aufgrund der Größe der Figur Miro tahiti denkbar, da diese Baumart den hierfür benötigten Stammdurchmesser ausbilden kann.

Moai Tangata Manu, Copyright Karsten Rau

Moai Tangata Manu
Rapa Nui, 20.Jh.
Künstler : unbekannt
Höhe : 60 cm
Material : Holz, Obsidian, Knochen
(Sammlung Karsten Rau)


Auf der nächsten Seite stelle ich Euch eine Kriegskeule sowie Miniaturen von Moais aus Holz und Vulkangestein vor.

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Copyright 1999-2009   Karsten Rau   Letzte Änderung:   05. Feb 2005